Am Abend des 6. November 2024 war es vorbei. Bundeskanzler Olaf Scholz entließ Finanzminister Christian Lindner und die FDP zog sich daraufhin aus der Bundesregierung zurück. Es kam zum Bruch der Ampelkoalition. Im Vorfeld des Showdowns im Koalitionsausschuss hatte der FDP-Vorsitzende ein Papier veröffentlicht, in dem er Vorschläge zur Behebung der wirtschaftspolitischen Standortschwächen Deutschlands präsentierte, die seit einigen Monaten zu einer anschwellenden öffentlichen Diskussion über den Niedergang der deutschen Wirtschaft geführt hatten. Seine Vorschläge waren eine deutliche Absage an die politischen Positionen von SPD und Bündnis90/Die Grünen.
In einem von vielen als kraftvoll bezeichneten Auftritt attackierte Olaf Scholz den geschassten Minister inhaltlich und persönlich. Der Wahlkampf wurde eingeläutet und nachdem zunächst eine Hängepartie erst um den Wahltermin dann um den richtigen Kandidaten der SPD folgte, startete diese ihre Kampagne betont kämpferisch.
Volatile Parteienlandschaft
In dieser Wahlauseinandersetzung kämpfen gleich mehrere Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten um die Gunst der Menschen. Friedrich Merz für die Union nimmt in den aktuellen Umfragen die klare Favoritenrolle ein. Mit Olaf Scholz und Robert Habeck an der Spitze wiederholen SPD und Bündnis90/Die Grünen den Wettkampf, wer im linken Lager die politische Vormachtstellung einnimmt. Nachdem es 2021 lange aussah, als ob Die Grünen der SPD diesen Rang ablaufen könnten, führte der eindrucksvolle Vorsprung der SPD am Ende zu klaren Verhältnissen im Parlament. Allerdings: In den Umfragen rutschte die SPD schon 2022 wieder in die Regionen, in denen sie sich schon 2018 bewegte: in den Bereich von 15 Prozent. Dieser Artikel erscheint vor der Wahl, sodass wir hier keine Aussagen treffen können, ob der Wahlkampf der SPD einen ähnlichen Erfolgsweg wie 2021 einschlagen wird. Wir wollen aber festhalten, dass in einer volatilen Parteienlandschaft vieles möglich ist, gerade in Krisenzeiten wie der aktuellen.
Strategische Lehren
Das von vielen erwartete, dann aber doch plötzlich eintretende Aus der Bundesregierung führt – man kann es so sagen – für die SPD zu einer Reihe von komplizierten Problemlagen und tiefgreifenden Konsequenzen unabhängig von der Bundestagswahl. Auch wenn es kurzfristig natürlich um die Kampagnenfähigkeit der Partei geht, wollen wir die langfristigen strategischen Lehren aus der Ampel und den in den vergangenen Jahren erzielten Wahlresultaten auf landespolitischer Ebene beleuchten. Medial wird die Lage der SPD vor der vorgezogenen Bundestagswahl dabei eindeutig beschrieben: Erneut werden die Sterbeglocken für die SPD geläutet. Wir haben schon ein paar Mal darauf hingewiesen, dass dies zu früh sein könnte und es einfallslos ist, die Prognose von Ralf Dahrendorf vom Ende des sozialdemokratischen Zeitalters aus den 80er Jahren immer wieder aufzuwärmen. Dahrendorf hatte eigentlich beschrieben, dass sich die SPD buchstäblich »zu Tode gesiegt« habe. Dies trifft aber gerade nicht zu, denn die Ungleichheitsverhältnisse haben zugenommen, die Verteilungskonflikte werden zunehmen.
Die Themenagenda des Jahres 2024, die in das Wahljahr hineinstrahlt und die bei den Landtagswahlen in jüngster Zeit zu beträchtlichen Erfolgen von AfD und BSW geführt haben, war unabhängig von sozialökonomischen oder politischen Sondersituationen in den Ländern. Es ging um Krieg und Frieden, um Zuwanderung und um die allgemeine Elitenkritik, die mit starken populistischen Wahlerfolgen immer einhergeht.
»Entgegen den vorherigen Bundestagswahlkämpfen stehen jetzt harte ökonomische Fragen im Mittelpunkt.«
Entgegen den vorherigen Bundestagswahlkämpfen stehen jetzt harte ökonomische Fragen im Mittelpunkt: Entwicklungen am Arbeitsmarkt, bei den Preisen und bei den Einkommen definieren die Sorgen und Wünsche der Menschen. Eng damit verbunden sind Einstellungen zum Wohlfahrtsstaat. Konnten sich 2021 die Ampel-Partner über die Modernisierungsthemen aufeinander zubewegen, ist die Zeit für lagerübergreifende Koalitionen nun sehr viel steiniger – eben auch thematisch und nicht nur aufgrund der menschlichen Verhärtungen. Im Wahlkampf wird es eine Polarisierung geben, die mit den Herausforderungen Migration, Klimawandel und Digitalisierung verbunden die politischen Konflikte über den zukünftigen Wohlfahrtsstaat verschärfen können.
Zugleich führt die aktuelle Ballung der Krisen in der Spätmoderne dazu, dass die Chancen für politische und gesellschaftliche Bündnisse zur Gestaltung der sozial-ökologischen Transformation schwinden. Dazu muss die Sozialdemokratie eine Antwort finden und eine zivilgesellschaftliche Strategie finden. Dies umso mehr, als sie mit ihrer strategischen Schwäche in Ostdeutschland umgehen muss.
»Die Sozialdemokratie sollte sich an Fehler erinnern, die sie in der Phase der Agendareformen gemacht hat.«
Die Sozialdemokratie sollte sich an Fehler erinnern, die sie in der Phase der Agendareformen gemacht hat. In einer Zeit der medialen Einforderung von Reformen, der Debatten über Deutschland als dem kranken Mann Europas hat die SPD mit ihrer Reformpolitik das eigene Feld verlassen und – hier sei der französische Soziologe Pierre Bourdieu zitiert – um modern zu erscheinen. Dabei hatte sie übersehen, dass die Modernisierung, die auch von ihren Wählerinnen und Wählern gefordert wurde, eben nicht die Durchsetzung einer neoliberalen Politikagenda in alle Lebensbereiche war. In Analysen zu den Bundestagswahlen 1998 und 2002 war eindeutig zu sehen, dass die Menschen damals eine zielsichere Staatstätigkeit und die Ausrichtung eines aktiven Staates auf neue Bedürfnisse als Modernisierung verstanden.
Die Frage, was denn eigentlich sozialdemokratisch an der Ampelpolitik gewesen war, kann eine wichtige und einordnende Diskussion einleiten und über die Überzeugung hinausweisen, ohnehin immer das Richtige zu tun. Der Hinweis auf diese programmatische Standortbestimmung wird noch während des Wahlkampfes eine breite Schneise für sozialdemokratische Themen und Positionen eröffnen. Dies sollte nach der Wahl in dem Anlauf auf ein neues, längst überfälliges Grundsatzprogramm münden.
Die SPD muss das Thema ökonomische und soziale Transformation in den Fokus ihrer Politik stellen. Dass sie – entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung – durch ein ständiges »Sowohl-als-auch« bei keinem großen gesellschaftlichen Konfliktfeld eine dynamische Führungsrolle übernimmt, ist ein Manko. Auch heute gilt nämlich: Eine Transformationspolitik, die ohne deutliche Gerechtigkeits- und Gleichheitskomponenten ausgestattet wäre, würde die Abwanderung der Anhängerschaft der Sozialdemokratie weiter beschleunigen. Dafür ist die Überprüfung von Aufgaben des Staates und die Entwicklung eines positiven Bildes einer modernen digitalen Verwaltung notwendig. Nachdem die Chance der zeitweilig erreichten politischen Hegemonie nach der Bundestagswahl 2021 durch die verschiedenen Gründe nicht genutzt werden konnte, gilt es nun, die weitere strukturelle Schwächung der SPD zu vermeiden.
Wandel der Mediendemokratie
Der Wandel unserer Mediendemokratie mit dem steigenden Einfluss sozialer Medien und einzelner Meinungsplattformen führt dazu, dass Parteien ihre überkommenen Formen der Kommunikation verändern müssen. Auch die SPD muss nicht nur die innerparteiliche Diskursfähigkeit, sondern vor allem die Kommunikation mit dem gesellschaftlichen Umfeld wiederherstellen.
»Es geht auch um die Frage, ob sich die SPD zu einem zukunftsfähigen Parteitypus weiterentwickeln kann.«
Dafür müssen die Netzwerkknoten in der Gesellschaft adressiert werden, die bereit und in der Lage dazu sind, sozialdemokratische Antworten, Sichtweisen und Personalangebote auch als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren weiterzutragen. In der Wahlauseinandersetzung geht es auch um die Frage, ob sich die SPD zu einem zukunftsfähigen Parteitypus weiterentwickeln kann, der sich die Öffnung zu neuen Bündnissen in der Zivilgesellschaft ebenso zum Ziel setzt wie die Rückkehr ins eigene politische Feld.
Grundsätzlich gilt für die Partei, dass es die Aufgabe der etablierten politischen Kräfte ist, dafür zu sorgen, die Grundfunktionen eines politischen Systems pluralistischer und wohlfahrtsstaatlicher Demokratie sicherzustellen. Nur dann bestehen – auch beim Vorhandensein extremistischer Kräfte – halbwegs tragfähige Voraussetzungen für die Schaffung eines entsprechenden pluralistischen und wohlfahrtsstaatlichen Rahmens im nationalen und im europäischen Kontext. Hier wird die Sozialdemokratie mit ihrem klassischen Politikmodell der gesellschaftlichen Befriedung eine zentrale Rolle spielen müssen.
(Der Beitrag basiert auf dem Buch »Auf dünnem Eis. Die SPD in Krisenzeiten.« Campus, Frankfurt am Main 2024.)
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