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Erich Maria Remarque zum 50. Todestag Weltbürger im Exil

Im Juni 1898 wurde er geboren, der international meistgelesene Autor deutscher Sprache im 20. Jahrhundert. Jeder kennt ihn und den beinahe sprichwörtlichen Titel seines berühmtesten Buches Im Westen nichts Neues, vielleicht auch einige Filme, die nach seinen Stoffen gedreht wurden. Ihm selber, Erich Maria Remarque, hat es Reichtum gebracht, im Übrigen aber wenig genützt im Land seiner Herkunft. Ein Exilschriftsteller, 1938 ausgebürgert, nie wieder recht eingebürgert, auch nicht literarisch.

Was für ein fesselndes Leben! Fast ein Doppelleben als »Pazifist und Nachtclubfritze«. Ein »Leben der Widersprüche«. Es begann damit, dass der später so weltläufige Autor in Osnabrück geboren wurde, in kleinbürgerlichen Verhältnissen. Der Vater war Handwerker, Buchbindermeister, über die Mutter ist wenig bekannt, und kaum etwas in seiner Kindheit und Jugend scheint auf eine literarische Laufbahn hinzuweisen. Er kam aus dem Nichts, und sein Erweckungserlebnis war zweifelsohne die Begegnung mit der Literatur. Als sehr junger Mensch war er ein Vielleser, ohne jede Anregung aus dem Elternhaus oder der Schule. Dann begegnete er einem Osnabrücker Bohemien, Fritz Hörstemeier, einem Landschaftsmaler, der den jungen Remarque faszinierte und zur Kunst und Literatur führte. Hörstemeier,der Mentor seiner Jugend, starb 1918. In demselben Jahr starb Remarques Mutter, und er selbst hatte bereits das Fronterlebnis des Ersten Weltkriegs hinter sich: drei Katastrophen, die er bis zum Schluss seines Lebens niemals verwunden hat.

Remarques frühe Romane, drei an der Zahl, zeigen wenig Talent im Vergleich mit Werken etwa von Lion Feuchtwanger oder Arnold Zweig, die ebenfalls im Schatten des Ersten Weltkriegs schrieben. Dann aber kam der große Wurf: Im Westen nichts Neues. Die Qualität des Manuskriptes wurde nicht sogleich erkannt, mehrere Verlage lehnten es ab, auch Samuel Fischer, der an sich ein großer Talententdecker war. Er nannte es später den größten Irrtum seines Lebens. Doch gaben nicht Fragen der literarischen Ästhetik den Ausschlag, vielmehr hatte Samuel Fischer das Gefühl, ein Kriegsroman sei zehn Jahre nach Ende des Krieges kein Thema mehr. Dann wurde das Buch ein gigantischer Erfolg: Innerhalb von wenigen Wochen wurde eine halbe Million Exemplare verkauft, es wurde in über 50 Sprachen übersetzt, die Verfilmung durch Lewis Milestone 1930 in den USA wurde ein Welterfolg, und heute liegen die geschätzten Verkaufszahlen weltweit bei über 20 Millionen.

Schriftsteller für die Titelseiten

Die Nationalsozialisten bekämpften Remarques Anti-Kriegsbuch mit allen Mitteln, es gehörte zu den ersten Büchern, die im Mai 1933 den Bücherverbrennungen zum Opfer fielen, und sein Autor wurde für sie zum erbitterten Feind. Als Teil ihrer Rufmordkampagne bezweifelten sie die Authentizität des Buches, verbreiteten das Gerücht, Remarque habe überhaupt nicht am Ersten Weltkrieg teilgenommen bis hin zu der Goebbels-Manipulation, bereits der Name Remarque sei eine Fälschung. Remarque wusste, dass ihn nichts anderes erwartete als der Tod im Konzentrationslager. Schon am 31. Januar 1933, einen Tag nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, ging er ins Exil, ohne je nach Deutschland zurückzukehren. 1938 wurde ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, seine Schwester Elfriede wurde 1943 wegen »Wehrkraftzersetzung« zum Tode verurteilt und in Plötzensee hingerichtet.

In den Jahren des Exils wurde Remarque zur öffentlichen Person und zum Schriftsteller für die Titelseiten. Er war eine glamouröse, eine mondäne Figur, eine Figur wie aus einem Hollywoodfilm der 30er und 40er Jahre. Auch ein homme à femmes. Liebesaffären verbanden ihn mit Elisabeth Bergner, Greta Garbo, Paulette Goddard, der früheren Frau Charlie Chaplins, die seine letzte Ehefrau war. Die wichtigste mit Marlene Dietrich, sie blockierte jahrelang sein literarisches Schaffen. So wurde er zum mächtigen Trinker am Abgrund der Melancholie. Er war ein Erfolgsschriftsteller voller Selbstzweifel, der sich jede Zeile abrang, stets auf der Flucht vor dem Schreibtisch. Zeitlebens hat er Tagebuch geführt, obwohl das Autobiografische für ihn »indirekter Egoismus« war. Angesichts der britischen Beschwichtigungspolitik gegenüber Hitler notierte er im Februar 1938: »Die zwei Dinge in meinem Leben: Mehr zu scheinen als ich bin, vielmehr: mehr scheinen zu wollen; und die fast morbid dependency in love – zusammen mit: übergroßer Empfindlichkeit, Schauspielerei, Renommisterei, Weltmann, Kavalier, homme à femmes sein zu wollen, – gleichzeitiges Gefühl, ein Schwindler zu sein, indiskret aus Angeberei zu sein und es wirklich zu sein, – als Schriftsteller nichts zu taugen, entlarvt zu werden eines Tages.«

Wie stark die Nazi-Propaganda gegen Remarque nachwirkte, belegt eine Tagebuchnotiz von Walter Kempowski vom 10. Januar 1991: »Ich war der festen Überzeugung – vielleicht wollte ich es sein – daß Remarque eigentlich ›Kramer‹ geheißen und seinen Namen um der besseren Wirkung halber ins Französisch-Hugenottische transponiert habe. Das eben war von Goebbels in die Welt ge­setzt worden, um den Verfasser des pazifistischen Romans ›Im Westen nichts Neues‹ lächerlich zu machen.« Kempowski hat dann noch in der ihm eigenen boshaften Art hinzugesetzt: »Er floh rechtzeitig ins Ausland, kaufte sich die Villa Böcklins. Nach dem Krieg hatte er sein Pulver verschossen.«

Der Funke Leben

Das belegt aber nur Kempowskis Unkenntnis, die wirkliche oder vorgetäuschte. Denn Remarque schrieb nach 1945 noch eine Reihe bedeutender Bücher, nicht nur Arc de Triomphe (1946), seinen zweiten Welterfolg, sondern auch Zeit zu leben und Zeit zu sterben von 1954, worin er die Verbrechen der deutschen Wehrmacht in Polen und der Sowjetunion behandelte, ein Thema, das in der westdeutschen Gesellschaft der Zeit nach 1945 tabu war. Und das gilt erst recht für Der Funke Leben (1952), eine der frühesten literarischen Auseinandersetzungen mit der Welt der nationalsozialistischen Konzentrationslager. So wie Remarque 20 Jahre zuvor das Massensterben des Ersten Weltkriegs in seiner epochalen Bedeutung erkannt und beschrieben hatte, so begriff er früher als viele andere den »Zivilisationsbruch« des »Dritten Reiches«.

Der Roman spielt in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs in einem fiktiven Lager nahe der Stadt Mellern. Das Geschehen wird aus der Perspektive des »Kleinen Lagers« entwickelt, eines Siechen- und Sterbelagers, das Einblicke in den Alltag der Häftlinge und das Ausmaß ihrer Leiden eröffnet, ohne für eine heroisierende Überhöhung anfällig zu sein. Hauptfigur ist der Häftling 509, der zehn Jahre im Lager überlebt und dessen Gesetze verinnerlicht hat: »Der Kampf um die Brotkruste war wichtiger geworden als alles andere ...« Dem Lagerleben wird kontrastierend der Alltag in der kleinen Stadt gegenübergestellt. Als deren Bombardierung beginnt und Nachrichten über den Vormarsch der Alliierten durchsickern, keimt in den Häftlingen die Hoffnung auf Befreiung und regt sich ihr Wille zum Widerstand. Das gilt auch für den zunächst anonymen Häftling 509, dem im Fortgang des Buches sein Name Friedrich Koller zurückgegeben wird. Auch wenn er am Ende des Buches im Kampf stirbt, begreift er sich durch seine Gegenwehr als letztlich »unbesiegbar«.

Der Funke Leben, entstanden auf der Grundlage von Dokumenten und Gesprächen mit überlebenden Zeugen, ist die nüchterne und differenzierte Darstellung eines Themas, das sich der literarischen Fiktionalisierung letztlich entzieht. Viele später erschienene Erinnerungen von Häftlingen und historische Untersuchungen über die Lager bestätigen die Genauigkeit der Schilderung, die auch die Überlebenskämpfe der Häftlinge untereinander nicht ausklammert. Dass der Terror seine eigene Ordnung erzeugt, wird genau gesehen und beschrieben. Auch die Schilderung der Psychologie der Täter geht weit über die zur Zeit der Niederschrift noch vorherrschenden Stereotypen von »folternden Bestien« hinaus. Unter den Häftlingen wird zwar die effektive Rolle der Kommunisten betont, doch unter gleichzeitiger Bloßstellung ihrer politischen Ziele und »totalitären« Ideologie.

Der Funke Leben wurde in vielen Ländern, besonders in den USA, mit großer Zustimmung aufgenommen, obwohl eine Verfilmung des Buches nicht zustande kam. Remarques Schweizer Verlag lehnte die Publikation der deutschen Ausgabe ab, die dann bei Kiepenheuer & Witsch in Köln erschien. Sie war kein Publikumserfolg, und auch die kritischen Urteile fielen äußerst konträr aus. An ihnen lässt sich viel von der verstörenden Wirkung des Buches in der Zeit des »Wirtschaftswunders« ablesen. »Deutschland«, schrieb der Autor, »hatte schon begonnen, die Zeit von 1933 bis 1945 (so schnell wie möglich) zu vergessen …«

Politisch lässt sich Remarque schwer einordnen. Er war kein Linker im eigentlichen Sinne, eher ein Einzelgänger, der sich in den Jahren des Exils von den Streitigkeiten der verschiedenen Exilgruppen fernhielt. Aber da er reich war und seine Bücher regelmäßig verfilmt wurden, war er gegenüber anderen Emigranten nie frei von Schuldgefühlen. Er half vielen Kollegen, verschaffte ihnen Pässe und Aufenthaltsgenehmigungen. Stets vertrat er die Auffassung: Alles steht in meinen Romanen, auch das, was ich über Politik und Gesellschaft denke. Es gibt kaum einen deutschsprachigen Autor, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein politisch so breit angelegtes Werk geschaffen hat wie Remarque. Er hat den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik, die Nazi-Zeit, indirekt sogar die restaurative Frühphase der Bundesrepublik in seinen Romanen widergespiegelt, in der Summe ein Zeitgemälde, das man mit Émile Zolas Zyklus Les Rougon-Maquart verglichen hat. Er war ein Realist und ein Romantiker, ein genauer Beobachter der Zeit und ein Menschenfreund. Oder einfach, wie Robert Neumann, der einstmals berühmte literarische Parodist, über ihn gesagt hat, »ein guter Mann«. Und weiter: »Er ist nicht eine Gestalt am Rand der Literatur – die Literatur ist ein ferner Fleck am Rande Remarques.«

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