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picture alliance / ZB | Sascha Steinach

Warum Deutschland eine gerechtere Steuerpolitik braucht und wie das gelingen kann Zeit für eine Neuausrichtung

Unser Steuersystem versagt ausgerechnet bei den Superreichen. Die Aussetzung der Vermögen­steuererhebung seit 1997 und Steuerreformen zu Beginn der Nullerjahre, vor allem im Bereich des Unternehmensvermögens, haben dazu geführt, dass Multimillionäre und Milliardäre heute mit deutlich niedrigeren Steuer- und Beitragssätzen belastet werden als Menschen, die hauptsächlich von Arbeitseinkommen leben. Während die Mittelschicht im Durchschnitt nahezu die Hälfte ihres Einkommens für Steuern und Abgaben aufbringen muss, zahlen Superreiche oft nur 20 bis 30 Prozent – und das bereits unter Berücksichtigung der Unternehmenssteuern. Bis Mitte der 90er Jahre mussten sie noch mehr als doppelt so viel von ihrem wirtschaftlichen Einkommen in die Gemeinschaftskasse abführen.

Die Steuerpolitik hat dazu beigetragen, dass die Vermögen der Superreichen ungeachtet der vergangenen Krisen immer weiterwachsen konnten. Da große Vermögen zudem höhere Renditen erzielen, konzentriert sich der Wohlstand immer stärker in den Händen weniger Hochvermögender und ihrer Großkonzerne. In den vergangenen 25 Jahren sind die 100 größten deutschen Vermögen um rund 500 Milliarden Euro gewachsen.

»Vermögen sind in Deutschland im internationalen Vergleich besonders ungleich verteilt.«

Die Vermögen und damit die Kontrolle über wirtschaftliche Ressourcen sind in Deutschland im internationalen Vergleich besonders ungleich verteilt. Das reichste Prozent der Bevölkerung besitzt mehr als 35 Prozent des gesamten Vermögens, während die reichsten 0,1 Prozent immer noch rund 20 Prozent halten. Im Gegensatz dazu besitzt die ärmere Hälfte der Bevölkerung nur etwa zwei Prozent des gesamten Vermögens – und damit abgesehen von ihren Rentenansprüchen praktisch nichts.

Trotz oder gerade wegen des erheblichen Wachstums der größten Privatvermögen in den letzten Jahren wurde zu wenig in die Zukunft für die Allgemeinheit investiert. Besonders in Bereichen wie Infrastruktur, Wirtschaft und Daseinsvorsorge besteht enormer Investitionsbedarf. Diese Bereiche müssen dringend zukunftsfähig gemacht werden. Verschiedene Forschungsinstitute schätzen die Investitionslücke bei öffentlichen Investitionen allein für die kommenden fünf Jahre auf 600 bis 780 Milliarden Euro.

Mindeststeuer für Superreiche

Um die gegenwärtigen Herausforderungen zu bewältigen, ist eine gerechtere Verteilung und ein effizienterer Einsatz der vorhandenen Ressourcen erforderlich. Wenn die breite Arbeitnehmerschaft nicht stärker belastet werden soll, müssen die reichsten Menschen und größten Konzerne einen deutlich höheren Beitrag leisten. Ein Update des Steuersystems könnte entscheidend dazu beitragen. Doch wie könnte das konkret aussehen?

Ein zentraler Schritt ist zunächst die Einführung einer Mindeststeuer für Superreiche. Eine Steuer von zwei Prozent auf Vermögen über 50 oder 100 Millionen Euro könnte sicherstellen, dass auch die reichsten Teile der Bevölkerung einen fairen Beitrag leisten. Statt aktuell nur 20 bis 30 Prozent auf ihre Vermögenseinkommen zu zahlen, würde bei ihnen dann etwa doppelt so viel fällig; ihr Abgabensatz würde auf das Niveau der Mitte der Gesellschaft gehoben.

Auch in vielen anderen Industriestaaten wurden die Vermögen und Vermögenseinkommen in der Vergangenheit steuerlich entlastet. Und auch dort stehen die öffentlichen Haushalte und Demokratien zunehmend unter Druck. Die gute Nachricht: Derzeit wächst international die Einsicht, dass niedrige Steuern für Hochvermögende und ihre Unternehmen die soziale Ungleichheit weiter verschärfen. Im Jahr 2024 verständigten sich die G20-Staaten erstmals darauf, sich für eine wirksame Besteuerung von Superreichen einzusetzen. Höhere Steuern könnten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten also global koordiniert werden. Doch Deutschland muss bei der Wiedererhebung der Vermögensteuer nicht auf internationale Abstimmungen warten. Die Voraussetzungen sind längst gegeben: Das Grundgesetz erlaubt ausdrücklich eine Vermögensteuer. Und Steuerflucht wird durch die sogenannte Wegzugsteuer bereits jetzt effektiv entgegengewirkt.

»Statt pauschaler Steuersenkungen sollten gezielt Investitionen gefördert werden.«

Im Gegensatz dazu fordern zahlreiche Interessenvertreter von Vermögenden eine pauschale Senkung der Unternehmenssteuern. Steuersenkungen auf Unternehmensgewinne, unabhängig davon, ob diese in Deutschland reinvestiert oder im Ausland oder am Finanzmarkt angelegt werden, sind jedoch weder zielführend noch gesamtwirtschaftlich sinnvoll. Solche Maßnahmen würden zu erheblichen Steuerausfällen führen, was wiederum dringend notwendige öffentliche Investitionen verhindern würde. Darüber hinaus kämen diese Steuererleichterungen vor allem den Wohlhabenden zugute, die große Unternehmen oder Unternehmensanteile besitzen. Statt pauschaler Steuersenkungen sollten gezielt Investitionen in Deutschland gefördert werden, insbesondere solche in nachhaltige Technologien, in sozialen Wohnungsbau und digitale Infrastruktur. Dafür eignen sich Maßnahmen wie zeitlich befristete Sonderabschreibungen.

Ehegattensplitting, Immobilienbesteuerung, Übergewinnsteuer

Auch im Bereich der Einkommensbesteuerung besteht Handlungsbedarf, insbesondere bei der Besteuerung von Ehen. Durch das sogenannte Ehegattensplitting begünstigt das deutsche Steuersystem vor allem Ehen, bei denen ein Partner – meist der Mann – deutlich mehr verdient als der beziehungsweise die andere. Dies fördert traditionelle Rollenmodelle und verringert die Arbeitsanreize für die Partner mit dem niedrigeren Einkommen – in der Regel sind dies die Frauen. Die schrittweise Rückführung des Splittingverfahrens wäre ein Schritt zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in der Steuerpolitik. Die dadurch erzielten öffentlichen Mehreinnahmen sollten gezielt Familien zugutekommen, etwa durch eine Erhöhung des Kindergeldes oder durch den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen.

Daneben müssen auch die Steuerregeln für Immobilien dringend überarbeitet werden. Zahlreiche Privilegien im Steuersystem begünstigen spekulativen Besitz von Wohnraum. Dadurch können Immobilieninvestoren steuergünstig große Gewinne erwirtschaften, ganz ohne Neubauabsichten. Das treibt die Preise auf dem überhitzen Wohnungsmarkt zusätzlich in die Höhe und erschwert den Zugang zu Wohneigentum für den arbeitenden Teil der Bevölkerung.

Ein zukunftsfähiges Steuersystem muss zudem dafür sorgen, dass die Macht weniger Großkonzerne nicht immer schneller wächst. Immer größere Anteile der Wertschöpfung werden von wenigen global agierenden und hochprofitablen Unternehmen kontrolliert. Ein Teil ihrer enormen Renditen resultiert nicht aus außergewöhnlichen unternehmerischen Fähigkeiten und großen Innovationen, sondern aus ihrer Marktmacht, die ihnen einen Vorteil gegenüber kleineren Unternehmen verschafft. Daher sollte eine zusätzliche Steuer auf untypisch hohe Monopolgewinne – sogenannte Übergewinne – eingeführt werden, um die Marktwirtschaft und den Wettbewerb zu stärken – auch zugunsten des deutschen Mittelstands.

»Leistungsloses Einkommen wird deutlich niedriger besteuert als Arbeitseinkommen.«

Wenn diese Maßnahmen allesamt umgesetzt werden, könnte der Wohlstand in Deutschland gerechter verteilt werden, und einer zunehmenden Vermögenskonzentration würde entgegengewirkt. Die Vermögen der Superreichen würden dadurch allerdings nicht abgebaut, sondern lediglich langsamer wachsen. Eine effiziente Erbschaft- und Schenkungssteuer muss deshalb sicherstellen, dass sich Deutschland nicht immer weiter zu einer Erbengesellschaft entwickelt. Die derzeitigen Regelungen bei der Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen hat große Gerechtigkeitsdefizite. Leistungsloses Einkommen wird deutlich niedriger besteuert als Arbeitseinkommen. Besonders problematisch: Ausgerechnet die größten Vermögen können derzeit besonders niedrig besteuert an die nächste Generation weitergereicht werden, und die Erben von Milliardenvermögen müssen kaum Steuern zahlen.

Um das zu ändern – um also eine wirklich progressive Erbschaftsteuer zu schaffen –, müssen insbesondere die Steuerprivilegien und Schlupflöcher für Unternehmensvermögen abgeschafft werden. Wer hierzulande ein Unternehmen erbt oder Anteile daran, wird ohne Notwendigkeit umfangreich von der Steuer befreit. Denn auch Erben von Unternehmen können Steuern zahlen. Investition oder Arbeitsplätze sind dadurch jedenfalls nicht gefährdet, wenn die Steuern über einen längeren Zeitraum abgezahlt werden können – ebenso wie Nichterben, die ein Unternehmen gründen, ihren Kredit abbezahlen.

Wo bleiben die Reformen?

Trotz ihrer essenziellen Rolle für das Zusammenleben und die Demokratie stoßen Steuern bei weiten Teilen der Bevölkerung häufig auf Ablehnung, jedenfalls auf Desinteresse. Kaum ein anderes Thema ist in unserem Alltag so präsent und gleichzeitig so stark von Halbwissen und Mythen geprägt wie das Thema Steuern. Die aktuelle Forschung spricht von einem weitverbreiteten »Steueranalphabetismus«.

Zwar empfinden viele Menschen in Deutschland die Verteilung von Vermögen und Einkommen als ungerecht und wünschen sich weniger soziale Ungleichheit, doch fällt es ihnen oft schwer, diesen Wunsch in konkrete Reformvorschläge zu übersetzen. So lehnen sie beispielsweise Steuererhöhungen für Erbschaften ab, weil sie befürchten, selbst betroffen zu sein. Tatsächlich aber kommen nur die allerwenigsten Menschen mit der Erbschaftsteuer jemals in Berührung, denn die hohen Freibeträge sorgen dafür, dass die Vermögen der breiten Bevölkerung steuerfrei übergehen.

Im Gegensatz zur Erbschaftsteuer wünschen sich die meisten Menschen eine Vermögensteuer. Allerdings lassen sich viele der Befürworter von Drohungen, wie der angeblichen Gefährdung von Arbeitsplätzen oder der vermeintlichen Kapitalflucht der Vermögenden, verunsichern. Im Ergebnis führt die Verunsicherung dazu, dass aus dem weitverbreiteten Wunsch nach einer Vermögensteuer nur wenig politischer Druck entsteht.

»Einige Lobbyorganisationen von Großkonzernen und Vermögenden schüren gezielt Misstrauen gegen den Staat.«

Einige Lobbyorganisationen von Großkonzernen und Vermögenden schüren zudem gezielt Misstrauen gegen den Staat und seine Fähigkeit, Steuereinnahmen effizient einzusetzen. Ihre Kritik verbinden sie unmittelbar mit der Forderung nach Steuersenkungen (anstatt mit guten Vorschlägen für Ausgabenkürzungen im Sinne der Allgemeinheit, die nicht einseitig die Ärmsten und Schwächsten treffen.) Mit Erfolg: Viele Menschen, die von mehr Umverteilung profitieren würden, wählen aufgrund ihres Unmutes gegenüber dem Staat und der Politik Parteien, die genau das Gegenteil vorhaben.

Aus diesem Grund ist es dringend notwendig, eine breite und fundierte Debatte über Steuern und Finanzen zu führen. Eine Debatte, die den Menschen hilft, informierte Entscheidungen zu treffen, die ihren individuellen Bedürfnissen und Zielen gerecht werden. Dafür stehen heute zahlreiche bewährte Formate zur Verfügung – vom Bürgerrat des Bundestages bis hin zu zivilgesellschaftlich organisierten Bürgerdialogen. Diese Ansätze eröffnen neue Wege, um Wissen zu teilen, Meinungen zu hören und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.

Das Steuersystem allein kann nicht alle gegenwärtigen Probleme lösen, aber es ist ein entscheidendes Werkzeug für mehr Gerechtigkeit und die dringend notwendige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Es ist Zeit für eine Neuausrichtung der Steuerpolitik – für mehr Chancengleichheit, soziale Stabilität und eine nachhaltige Zukunft.

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