Da die öffentlichen Investitionen mit etwa 13 Prozent der Bruttoanlageinvestitionen auch bei Weitem den kleineren Teil aller Investitionen ausmachen, ist es zwar sinnvoll, diese zu betrachten, aber eben auch die Anreize, die auf den privaten Sektor zielen.
Der Staat verfügt dabei grundsätzlich über zwei Möglichkeiten Anreize zu setzen: zum einen mit Geld (etwa über Förderdarlehen) oder aber per Gesetz (zum Beispiel mittels der CO2-Bepreisung oder mit Grenzwerten für Fahrzeugflotten). Bereits kurz nach der Bundestagswahl vereinbarten CDU/CSU und SPD in Sondierungsgesprächen vor der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen ein großes Finanzpaket mit zwei Sondervermögen und einer Öffnung der Schuldenbremse für die Bundesländer. Bei allen offenen Fragen um das »wie« und das »wieviel« löste das den umgekehrten Ansatz ab, über einen Finanzrahmen die politischen Ziele zu definieren.
Diese umgekehrte Sichtweise war die Position der FDP in der Ampelkoalition, zusammengefasst im Scheidungspapier von Finanzminister Christian Lindner. Es beschreibt einige wesentliche Herausforderungen, kommt aber – etwas vereinfacht – zum Ergebnis, dass mit der deutschen Schuldenbremse und der Europäischen Schuldenregelung ein doppelter Riegel existiert, der wachsende Investitionen nur verdrängend zulässt, also durch Kürzungen bei anderen Ausgaben.
So richtig die Forderung von Olaf Scholz in den letzten Stunden der Ampelregierung war, mit einem begrenzten Haushaltsüberschreitungsbeschluss zur Ukraine-Unterstützung das Signal zu setzen, dass Deutschland als stärkste europäische Nation die Ukraine nicht im Stich lassen wird, so sehr bleibt es ein Versagen der Ampel insgesamt, kein systematisches längerfristiges Finanzierungskonzept für die großen Ziele bei der Verteidigung, dem Klimawandel, der Innovation und der Erneuerung der Infrastruktur entwickelt zu haben.
Europäische Schuldenregelungen und Möglichkeiten
Das kumulierte deutsche Staatsdefizit für das Jahr 2024 beträgt 2.743 Milliarden Euro und liegt damit um 119 Milliarden über dem Wert von 2023, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag im vergangenen Jahr bei 4.305 Milliarden Euro. Diese Rohdaten deuten auf ein Defizit von gut 63 Prozent hin, das damit über der von der EU festgesetzten Grenze von 60 Prozent liegt. Sparmaßnahmen werden also erforderlich sein. Der (nicht mehr beschlossene) Haushaltsentwurf des Bundes sowie die Haushalte der Bundesländer sollten die erforderliche Einsparung in etwa abbilden; je besser sich die wirtschaftliche Lage darstellt, umso schneller wird auch die 60-Prozent-Marke erreicht oder unterboten. Unterstellt man, dass die Inflation in den vor uns liegenden Jahren zwei Prozent nicht übersteigt und ein Wachstum von einem Prozent jährlich erreicht wird, dann führt eine Neuverschuldung von bis zu 130 Milliarden jährlich in Preisen von 2024 zu keinem Anwachsen des kumulierten Staatsdefizits.
»Vieles spricht dafür, dass höhere Summen für gemeinsame europäische Truppen und europäische Waffensysteme erforderlich sein werden.«
Angesichts des Angriffs Putins auf die Ukraine und der von Trump betriebenen Annäherung der USA an Russland wird die Ukraine ganz wesentlich auf europäische Unterstützung angewiesen sein. Es spricht vieles dafür, dass höhere Summen nicht zuletzt für gemeinsame europäische Truppen und europäische Waffensysteme erforderlich sein werden. Insoweit ist die von Finanzminister Jörg Kukies unterstützte EU-Ausnahmeklausel in Sachen Staatsverschuldung für Militärausgaben oberhalb eines Schwellenwertes logisch und möglich.
Wird wie von ihm und implizit auch von der EU-Kommission beim Sondergipfel Anfang März vorgeschlagen ein Schwellenwert für die Nutzung der Ausnahmeklausel von zwei Prozent des BIP vereinbart, orientiert sich das an der bislang gültigen NATO-Ausgabenhöhe. Würde 1,5 Prozent vereinbart wie im Änderungsentwurf zum Grundgesetz von den Grünen vorgeschlagen, entspräche das eher der bisherigen Praxis, denn viele EU-Länder wie Deutschland haben die zwei Prozent Ausgaben über Jahre nicht erreicht. Eine Festsetzung bei einem Prozent kann vermutlich von einer neuen Bundesregierung auf EU-Ebene erreicht werden.
Der aktuelle Verteidigungsetat im Kernhaushalt ohne Sondervermögen von knapp 52 Milliarden Euro würde bei einer Ein-Prozent-Schwelle bereits zu neun Milliarden nicht mehr auf den europäischen Stabilitätspakt angerechnet. Betrachtet man die europäische Ebene als den ersten Riegel, könnte er so geöffnet werden.
Wie eine Belegung des Neuverschuldungtsspielraums verhindert werden kann.
Stetige Verteidigungsausgaben von drei Prozent des BIP können erreicht werden, wenn der zweite nationale Riegel so geöffnet wird, dass jährlich zwei Prozent des BIP (also 86 Milliarden) auch im Rahmen des nationalen Sondervermögens von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Gelingt der Beschluss der EU-Ausnahmeklausel und eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes mit dem Schwellenwert von einem Prozent, wird kein Teil des erwähnten Neuverschuldungsspielraums belegt. Auch wenn zukünftig die Verteidigungsausgaben oberhalb einer Schwelle nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden, ist die vom Bund zu tragende Zinslast dem Kernhaushalt zuzuordnen und beträgt für die nicht angerechneten zwei Prozent vom BIP jährlich 2,6 Milliarden und auf Sicht wegen wahrnehmbar erhöhter Zinssätze für die gesamte Staatsverschuldung weitere 13 Milliarden.
Welche Optionen hat die EU noch?
Die drei wesentlichen weiteren Optionen auf EU-Ebene sind erstens ein größerer EU-Haushalt, zweitens mehr Aktivitäten der Europäischen Investitionsbank EIB als Förderbank sowie drittens Schuldenaufnahme sogenannter EURO-Bonds als gemeinsamer EU-Verschuldung:
Die erste Option ist haushaltspolitisch ein Nullsummenspiel, da der EU-Haushalt sich aus nationalen Haushalten speist. Es gibt aber Sektoren gerade der Innovationsförderung, die auf der EU-Ebene wirkungsvoller als auf nationaler Ebene betrieben und deshalb ausgebaut werden sollten.###Anlesen###
Die zweite Option folgt der Logik, dass der seit der großen Finanzkrise erfolgte Ausbau auf EU-Ebene zur Prämisse für einen weiteren Ausbau werden kann. Da die EIB-Gruppe Darlehen beziehungsweise Risikokapital vergibt und wirtschaftlich ausgestaltet, steht dem Ausbau weder der Europäische Pakt noch die Schuldenbremse entgegen.
Die dritte Option wird trotz der Unterstützung durch eine Reihe von EU-Mitgliedern von Deutschland traditionell abgelehnt. Es scheint aber sinnvoll, diese Position weiterzuentwickeln und gezielt für die Vergabe von Darlehen die gemeinsame EU-Verschuldung zuzulassen. Das ist in einer Post-Corona-Anstrengung für die laufende Sieben-Jahres-Finanzierungsperiode zu Teilen verabredet worden. Es wäre eine vorsichtige und die nationalen Haushalte nicht belastende Weiterentwicklung, EU-Schuldenaufnahme für die Vergabe von Darlehen an Private und an wirtschaftliche Vorhaben von Mitgliedstaaten zuzulassen. Es wären nicht die Steuerzahler der Zukunft, die die Rückzahlung zu tragen hätten, sondern die finanzierten Projekte. Um ein Beispiel zu nennen: InvestEU als zentrales Wachstums- und Innovationsprogramm der EU wird bislang über Garantien durch Förderbanken wie die EIB-Gruppe umgesetzt. Eine zusätzliche Säule könnte so durch die Vergabe von Liquidität beziehungsweise Eigenkapital entstehen.
Deutsche Sondervermögen zählen auf EU-Ebene mit
Die Schuldenbremse hat ein Ziel in Deutschland erreicht, nämlich dass der vorher bestehende politische Wettlauf erschwert wurde, Steuersenkungen zu versprechen, aber keineswegs das beabsichtigte Wachstum einschließlich zusätzlicher Steuereinnahmen zu erreichen. Der zentrale Denkfehler der Schuldenbremse besteht aber darin, von einer »ausinvestierten« Gesellschaft auszugehen, die vor keinen großen investiven Herausforderungen steht, bei denen der Staat mit anpacken muss. Dieser Denkfehler wirkt dysfunktional; gepaart mit dem Folgefehler, die Schuldenbremse in die Verfassung zu schreiben, führt er angesichts der Auffächerung des politischen Systems dazu, dass eine grundlegende Korrektur unwahrscheinlich wird.
»Kleinere Korrekturen zur Erhöhung der Investitionen der Bundesländer scheinen möglich.«
Kleinere Korrekturen zur Erhöhung der Investitionen der Bundesländer scheinen immerhin möglich, wodurch 0,35 Prozent des Neuverschuldungsspielraums belegt sind. Da aber das in Deutschland vorgesehene neue Sondervermögen Infrastruktur zwar nicht auf die nationale Schuldenbremse angerechnet werden soll, aber sehr wohl auf der EU-Ebene, wird ein gleichmäßiger Abfluss mit 50 Milliarden Euro jährlich wichtig. Damit sind weitere 1,2 Prozent des Neuverschuldungsspielraums belegt. Es verbleiben 1,45 Prozent vom BIP des Neuverschuldungsspielraumsim Sinne der europäischen Riegelöffnung. Investitionen, die gleichzeitig den deutschen Riegel öffnen, erfordern Darlehen und andere wirtschaftliche Finanzinstrumente – so werden sie nicht auf die Schuldenbremse angerechnet.
Ein Prozent könnte jährlich für zusätzliche darlehensfinanzierte Klimaförderprogramme wie wirtschaftliche Wärmepumpen, Kaufanreize für e-Mobilität (anstatt Zuschussprämien) sowie für den von der SPD vorgeschlagenen Deutschlandfonds für Projekte mit privaten Co-Investoren eingesetzt werden. Die verbleibenden0,45 Prozent sollten den Ländern zur Verfügung stehen, insoweit sie Zuschussprogramme in Darlehensprogramme oder wirtschaftlich angelegte Beteiligungen umwandeln und dann im Volumen ausweiten.
Zwei Darlehensprogramme haben prägende Wirkung im Westdeutschland der Nachkriegszeit entfaltet, der Marshall-Plan für den Aufbau der Wirtschaft mit etwa 0,5 Prozent des BIP sowie der soziale Wohnungsbau für die zerstörten Wohnquartiere, der mit etwa zwei Prozent des jährlichen BIP beziffert wird. In diesem Umfang wurden Darlehen vom Staat über Förderbanken ausgereicht. Wirtschaftsförderung, Wohnungsbauförderung und klimaorientierte Modernisierung können von den Ländern systematisch auf Darlehen umgestellt oder um Darlehenskomponenten ergänzt und ausgeweitet werden.
Ein Vorteil des hier entwickelten Finanztableaus ist, dass es einen realistischen und funktionierenden Rahmen beschreibt. Es rät auch zur Vorsicht bei Steuersenkungen, weil sie im Wesentlichen durch Ausgabensenkungen finanziert werden müssen. Das Fehlen eines Rahmens hat sich in der Ampelkoalition als ausgesprochen nachteilig erwiesen. Jetzt besteht aber die Chance, diesen oder einen ähnlichen Rahmen in einer neuen Koalition festzulegen – und in bestimmten Teilen auch über eine Regierungskoalition hinaus zwischen demokratischen Parteien in Bund und Ländern eine Verständigung zu suchen.
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