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Die Rolle von Kultur in Zeiten fragmentierter Gesellschaften Zwischen Neutralität und Haltung

Hat Kultur eine Funktion? Diese scheinbar akademische Frage berührt im Kern die Praxis und Verantwortung kulturellen Handelns in unserer Gegenwart. Während Kultur in stabilen Zeiten gern als staatsfernes, autonomes Feld verstanden wird – als Selbstzweck, als Ort der Freiheit – geraten ihre Grundlagen in Krisenzeiten ins Rutschen. Spätestens wenn die Budgets schrumpfen, wie aktuell in Berlin oder Bayern, oder wenn Kultur zum Schauplatz politischer Kämpfe wird, stellt sich die Frage nach ihrer gesellschaftlichen Relevanz mit neuer Dringlichkeit.

Aktuell wird sich der von Friedrich Merz ausgesuchte Kulturstaatsminister, der Journalist und Verleger Wolfram Weimer, mit genau diesem Spannungsverhältnis für die Kulturpolitik auf Bundesebene auseinandersetzen müssen. Er ist kulturpolitisch eher unerfahren, sein konservativer Kulturbegriff wird aber einen deutlichen Unterschied machen zur Vorgängerin Claudia Roth.

Neben der gesellschaftlichen Debatte, in der zuletzt bereits viel Polarisierung deutlich war, wird der Kulturstaatsminister sich auch mit der Frage beschäftigen müssen: Was darf Kultur kosten – und was darf sie bewirken? Die Antwort auf diese Fragen entscheidet nicht nur über Förderlogiken, sondern über die Haltung einer demokratischen Gesellschaft zu sich selbst. Denn Kultur ist mehr als Unterhaltung.

Mehr als Unterhaltung

Sie ist Erinnerungsort, Resonanzraum, Spiegel und Möglichkeitsraum zugleich. Inmitten wachsender gesellschaftlicher Polarisierung – nicht zuletzt befeuert durch autoritäre, antidemokratische Bewegungen – muss Kultur ihre Rolle neu bestimmen. Soll sie neutral bleiben, zwischen den Fronten vermitteln? Oder aktiv Partei ergreifen?

Bereits 2007 formulierte die Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland« hierzu eine These: Kultur sei der Ort, an dem »die ständige Selbstreflexion der Gesellschaft über ihre Werte und Standards« stattfinde. Diese Formulierung macht deutlich, dass Kultur eben nicht außerhalb gesellschaftlicher Prozesse steht, sondern sie aktiv mitprägt. Gerade in Zeiten, in denen sich gesellschaftliche Lager unversöhnlich gegenüberstehen, kann Kultur Räume öffnen, in denen Differenz gelebt, ausgehalten und in produktive Auseinandersetzung überführt werden kann.

Die Kultur muss ihre Rolle heute neu bestimmen.

Die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe hat mit ihrer Unterscheidung zwischen »Antagonismus« und »Agonismus« hierfür ein hilfreiches Modell vorgeschlagen: Während Antagonismus in der Feindmarkierung des Anderen mündet, erlaubt der Agonismus Streit im Rahmen gemeinsamer Grundwerte. Übertragen auf die Kultur heißt das: Sie kann und soll Konflikte nicht vermeiden, sondern produktiv machen – als Bühne des Streits in einer zivilen Form.

Wie das konkret aussehen kann, zeigt ein Blick nach Senftenberg. Die Stadt im Süden Brandenburgs gilt als AfD-Hochburg. Und doch gibt es dort mit der Neuen Bühne ein Theater, das sich sichtbar gegen Rechts positioniert – unter der Leitung von Daniel Ris. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung betont Ris: »Über unseren Spielplan entscheiden wir, nicht die AfD.« Mit Inszenierungen wie dem »Tagebuch der Anne Frank« oder »Nullerjahre«, einer Adaption über rechte Jugendkultur, schafft das Theater Räume der Auseinandersetzung – auch und gerade mit Jugendlichen, die

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