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Zwischenruf: Sozialdemokratie in der Zwickmühle

Nun hagelt es wieder Ratschläge von allen Seiten mit der wachsenden Tendenz zur ernsthaften Ermahnung, wenn nicht gar Verwarnung. Als hätte diese Partei sich nicht wie keine zweite im Lande mehr als einmal in den brenzligsten Augenblicken der jüngeren deutschen Geschichte in die Bresche geworfen, um am Ende doch die Zeche für das Versagen der anderen Parteien allein zu begleichen. Die Sozialdemokratie bedarf in dieser Hinsicht nun wahrlich keiner Ermahnung, schon gar nicht in einer Situation, in der ganz offensichtlich geworden ist, dass gerade das allzu lange Verweilen in Großen Koalitionen – speziell mit dieser Kanzlerin, der Meisterin des Todeskusses – die Partei der selbstlosen Verantwortungsbereitschaft, die sie immer war, nun hart an den Abgrund geführt hat. In einer Republik, in der am Ende die zügellose Egoistenpartei FDP und die identitätspolitischen Abenteurer der AfD die Tonlage der Opposition bestimmen, während sich die Sozialdemokraten aufs Neue im Maschinenraum des Dampfers abrackern, indessen die Kanzler-Präsidentin huldvoll bescheiden dem Volk von der Kommandobrücke aus zuwinkt und signalisiert, dass sie es allein ist, die den Kurs bestimmt – das würde, wir wissen es, die Ränder weiter stärken und die SPD noch ein Stück in diese Richtung drücken.

Es ist ja nicht so, dass sich die SPD einfach mal eine Runde Sonder- (oder Bildungs-)urlaub gönnen will. Es geht in Wahrheit um ihre Existenz als »Volkspartei«. Und die ist für die Republik von unschätzbarem Wert. Das ist jetzt die eigentliche Verantwortung der SPD. Wir könnten sonst in eine prekäre Lage abdriften, in der, wie in mehreren Nachbarländern bereits geschehen, die Rechtspopulisten zur »neuen« Volkspartei werden, die Sozialdemokratie zu einer Schrumpfpartei und »geniale« politische Risikounternehmer, eine Art »postmoderne Führer«, das ganze alte »Parteiengerümpel« in die Tonne treten und eine Art Post-Parteien-Politik erfinden, bei der fiktionale Bewegungen (genau genommen handelt es sich um Gefolgschaften), die demokratische Partizipation der Gesellschaft in einen Ruhestand versetzen, von dem man nicht weiß, ob er nur »zeitweilig« ist.

Sebastian Kurz in Österreich und Emmanuel Macron in Frankreich haben vorgemacht, wie das funktioniert – durchaus unter großem Applaus, problematisch-destruktiv der eine, sympathisch-konstruktiv der andere. Noch ist der Beweis nicht erbracht, dass ihr Manöver am Ende das erbringt, was sie versprechen. Was sich indessen schon zeigt, ist eine weitere Schwächung der Volksparteien und der Triumph einer eher fragwürdigen plebiszitären Demokratie. Silvio Berlusconi hat in Italien als Erster den genialen Coup gewagt, dem lebendigen Leib der Demokratie das neoliberale Rezept zu verordnen, und einen neuen Typus von Pseudo-Partei (alias »Bewegung«) als politischer Unternehmer von oben herab, aber nach den Gesetzen des wissenschaftlichen Marketings wie eine Firma als Gefolgschaftsteam zu gründen. Das bringt Bewegung in die unflexiblen Parteiensysteme und dem Anschein nach Leute nach vorn, die sich in den politischen Tagesgeschäften noch nicht die Hände schmutzig gemacht haben. Das funktioniert unter den gegebenen Umständen erst mal. Offen ist allerdings, wie lange es trägt und mit welchem Ende.

Vieles spricht dafür, dass sich der »geniale« Solo-Stratege Christian Lindner in dieses hinreißend erfolgreiche Start-up-Modell der neuen politischen Ökonomie verliebt hat. Er geht von der Jamaika-Bühne ab, sagt auf Wiedersehen, zieht den Vorhang hinter sich zu und möchte als der einzig beherzte Held unter all den Kompromisshanseln strahlen. Was er meint, ist: Wartet nur ab, wir sehen uns bald wieder, in einem ganz anderen Stück. Es spricht manches dafür, und er hat einiges in dieser Richtung gesagt, dass dies von Anfang an sein Plan war. Denn dass der Versuch, aus vier so disparaten – nicht nur Programmen, sondern – politischen Kulturen einen gemeinsamen Regierungsplan hervorgehen zu lassen, nicht nur landläufige Kompromisse, sondern veritable Identitätsopfer verlangt, konnte keinen überraschen, der schon mal in die Politik hineingerochen hat.

Die Sozialdemokratie kommt in dieser verworrenen Lage ihrer Pflicht für das Wohlergehen der Republik am besten als führende Oppositionspartei nach, die für einen dauerhaften Grundton der Verantwortlichkeit im Parlament sorgt und dafür, dass sich das Land wieder darauf besinnt, was es heißt, Demokratie mit Leben zu füllen. Nämlich eine klare Alternative zur Regierung zu bieten, die durch die Grundwerte Gleichheit und Solidarität profiliert ist, also das, was dem Land am meisten fehlt, und durch den sozialdemokratischen Realismus der verlässlichen Praktikabilität beglaubigt, also das, was die übrigen Oppositionsparteien nicht aufbringen können. In der größten Not, wenn alle anderen versagen, ginge noch die Tolerierung einer Minderheitsregierung für sozialdemokratische Kernanliegen wie die Bürgerversicherung und ansonsten konstruktive Opposition.

In die Irre würde es hingegen führen, wenn die Partei jetzt die Debatte über ein neues Grundsatzprogramm begänne. Die SPD hat kein Programmdefizit – im Gegenteil: Im Grundsätzlichen, also dem, was in einem solchen Programm geregelt werden kann, ist alles Wichtige nicht nur unvermindert gültig, vieles ist eher noch aktueller und gar nicht so wenig immer noch unabgegolten. Es kann nicht darum gehen, das Grundsätzliche in jahrelangen Debatten noch einmal ein bisschen anders zu formulieren. Im Konkreten, dem, was in den nächsten acht bis zehn Jahren getan werden muss, um die Grundsätze mit Leben zu füllen, ist in Bereichen wie Europa, Bildung, Wirtschaftsdemokratie (alias Kapitalismuskritik) oder Ökologie selbst im Hamburger Grundsatzprogramm immer noch mehr zu finden als in einer Legislaturperiode umgesetzt werden könnte. Zu aktuellen Zentralfragen wie Digitalisierung und Europa hat die Partei seit Jahren unentwegt programmatische Orientierungen erarbeitet. Sie könnten, um für die öffentliche Debatte sichtbarer zu werden, wie mit gutem Erfolg schon früher praktiziert, in zwei, drei Aktionsprogrammen mittlerer Reichweite gebündelt, geschärft und offensiv vermittelt werden. Was dann noch fehlt, könnte allerdings wehtun: eine zugleich standfeste und wirklichkeitsnahe Positionsbestimmung zur Flüchtlings- und Integrationspolitik. Und vor allem: die Verdichtung der Programmsubstanz zu einer populären Erzählung, die die nächsten Schritte mit dem großen Ziel einer Gesellschaft der Freien und Gleichen verbindet, die solidarisch zusammenleben. Zu einer Erzählung, die zündet, im Parlament, in den Talkshows, auf den Marktplätzen und in der Nachbarschaft.

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